Der gute Geist

In der Frühe des Morgens, wenn der Tau noch an den Grashalmen haftet. Wenn die Enten am und im Schloßteich noch den Kopf unter ihren Flügeln haben. Wenn der Wirt am Brauhaus die Außenanlagen kontrolliert und bereits Stühle für den kommenden Tag rückt. Wenn die Frau ungeduldig an der Leine zieht, weil ihr Hund schon wieder etwas „entdeckt“ hat und seine Nase hinein steckt. Wenn ein Radfahrer mit Einkaufsnetz vorüber saust, weil die Brötchen auf den Tisch kommen sollen…

Das ist die Zeit, in der man sie manchmal zu Gesicht bekommt.

Tagsüber, wenn ich mich freue, über saubere Wege spazieren zu können, sind sie verschwunden. Wenn ich mein Taschentuch oder das knisternde Bonbonpapier durch den Schlitz des mattsilbernen Kastens fallen lasse, kann ich sie nicht sehen. – Und ich denke nicht an sie.

Es ist völlig normal, wenn meine Wege frei sind, die Mülleimer der Stadt immer wieder geleert und ich den Beutel mit Hundekot gleich nach dessen Befüllung bequem loswerden kann. Selbstverständlich ist es für mich, dass die Hinterlassenschaft eines nächtlichen Stelldicheins auf der Parkbank, die leeren Fastfoodpackungen, die grünschimmernden Böden zerborstener Bierflaschen am nächsten Tag wieder wie von Geisterhand verschwunden sind.

Frage ich mich manchmal, welche „Geister“ hier am Werk sind? Oder ist das alles so selbstverständlich für mich geworden, dass ich mir gar nicht mehr die Mühe mache, darüber nachzudenken? Mein Dreck vom Vortag verschwindet einfach immer wieder.

In der Frühe des Morgens kann ich sie sehen. Dann begegne ich ihnen, den „guten Geistern“. Schon aus der Ferne fällt der kleine Lieferwagen mit offener Pritsche auf, der dort steht, wo normalerweise kein Wagen fahren darf. Oft schwebt eine Wolke um ihn herum, weil in der kühlen Morgenluft die warmen Ausströmungen des Auspuffs sofort kondensieren und eine Nebelbank erzeugen.

Aus ihr taucht er dann auf, der gute Geist. Latzhose, Mütze, festes Schuhwerk, derbe Arbeitshandschuhe an den Händen. In der einen der graue Plastiksack, schon halb gefüllt. Den Blick auf den Boden gerichtet. Früh aufgestanden ist er sicher. Als die Stadt noch richtig im Schlaf lag. Auch ich. Schnell einen Kaffee in der Dienststelle, den Einsatzplan für den Tag entgegengenommen und ab in den Wagen.

Dann höre ich beim Näherkommen das Klappern des eisernen Mülleimers. Der Plastiksack ist voller, der Mülleimer wieder leer.

„Guten Morgen“, sage ich und denke: „Danke, dass du unseren Dreck wegräumst.“ Er blickt auf, der gute Geist. Und dann bekommt er ein Gesicht für mich. Und er lächelt.

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